Modellbildung im Computer 

Wie kann man dem Computer eigentlich menschliches Verhalten beibringen? Hier erfahren Sie ein bisschen mehr über die technischen Hintegründe

Jetzt wird es technisch! Simulationen bilden die Realität modellhaft ab, d.h. sie reduzieren oder extrahieren die Realität auf die charakteristischen Eigenschaften, um komplexe Abläufe greifbar und berechenbar zu machen. Hierfür werden typische Muster meist über die Forschung (z.B. Jülich) identifiziert und in Modelle überführt, die vom Computer abgebildet werden können.

Im Bereich der Personenstromsimulation sind vor allem zwei Aspekte wichtig: Wie bewege ich mich im Raum und wann bewege ich mich, also räumliche und zeitliche Entscheidungen. Hierbei unterscheidet man zwischen einer diskreten bis hin zu einer quasi-kontinuierlichen Abbildung:

Warum quasi-kontinuierlich? Da jeder Computer nur diskret rechnen kann (jede Berechnung wird im Takt des Prozessors ausgeführt) findet zwangsläufig für jedes Computerprogramm der Welt eine zeitliche Diskretisierung statt. Selbes gilt auch für die räumliche Diskretisierung: Die in der Realität vorhandene Kontinuität kann von den Computern nur angenähert werden.

Der Grad der Auflösung ist aber unterschiedlich hoch. Während manche Modelle die Geometrie zellbasiert auf Agentengröße auflösen, also noch recht grob sind, gibt es andere Modelle (wie z.B. crowd:it), deren Standardauflösung durch Interpolation von 10cm entfernten Stützstellen quasi-kontinuierlich ist. Die Einstellung der Stützstellen kann individuell eingestellt und einfach per Klick erhöht werden.

Für die Abbildung der zeitlichen Entscheidung gibt es ebenfalls unterschiedliche Genauigkeiten. Entweder das Modell weist allen Agenten einen festen Zeitpunkt zu, in dem jeder einen Schritt machen darf (üblicherweise mehrmals pro Sekunde) oder ein Agent kann jederzeit entscheiden, dass er gehen möchte. Erster Fall wird in Modellen umgesetzt, die auf Differentialgleichungen basieren. Diese Gleichungen werden zu jedem Zeitpunkt dann neu ausgewertet (z.B. Social Force Modelle). Wir haben diese Entscheidung nun von synchonisierten Zeitschritten zu individuellen Zeitschritten umgestellt. Denn so funktioniert die Realität: Menschen entscheiden ohne global tickende Uhr, wann sie einen Schritt machen. So schaffen wir es, menschliches Verhalten noch besser abzubilden und mehr Realität in die Simulation zu bekommen. Unsere Software kann einen weiteren Aspekt aus der Realität in die Modellwelt überführen.

 

Ausgewählte Publikationen zum Simulationsmodell

(1) M. J. Seitz and G. Köster, Natural discretization of pedestrian movement in continuous space, American Physical Society, PHYSICAL REVIEW E 2012, 86, 046108

(2) Kneidl, A.; Hartmann, D.; Borrmann, A. (2013): A hybrid multi-scale approach for simulation of pedestrian dynamics. In: Transportation Research Part C, in press.

(3) Kneidl, A. (2013). Methoden zur Abbildung menschlichen Navigationsverhaltens bei der Modellierung von Fußgängerströmen, PhD Thesis, Technische Universität München

(4) I. v. Sivers, G. Köster (2014): How stride adaption in pedestrian models improves navigation

(5) G. Köster, F. Treml, M. Seitz & W. Klein (2014) Validation of Crowd Models Including Social Groups, in Pedestrian and Evacuation Dynamics 2012, Springer.

(6) A. Kneidl (2015): How Do People Queue - A Study Of Different Queuing Models, TGF '15, Delft, Netherlands.

(7) M. J. Seitz, „Simulating pedestrian dynamicsTowards natural locomotion and psychological decision making“, PhD Thesis, 2016, Technische Universität München

(8) G. Köster, D. Lehmberg, F. Dietrich: „Is Slowing Down Enough To Model Movement On Stairs?“, TGF '15, Delft, Netherlands.

(9) A. Kneidl, “Simulation of the Neuschwanstein Castle: Egress of a fairy castle”, PED '16, Hefei, China, 2016.

(10) G. Köster; D. Lehmberg; A. Kneidl(2019): Walking on stairs: Experiment and model. In: Physical Review E, Vol. 100, Iss. 2 — August 2019.

 

Literaturstudien zur Einstellung von Parametern für das Simulationsmodell

(11) Richtlinie für Mikroskopische Entfluchtungsanalysen, Version 4.0

(12) Weidmann, U. (1993): Transporttechnik der Fussgänger: Transporttechnische Eigenschaften des Fussgängerverkehrs (Literaturauswertung)

(13) Forell, B., Klüpfel H., Schneider, V., Schelter S. (2011) Vergleichende Betrachtung zu Evakuierungsberechnungen

(14) Schneider, B., Seyfried, A.: Methods for measuring pedestrian density, flow, speed and direction with minimal scatter, Physica A, vol. 389, no. 9, pp. 1902–1910, 2010.

(15) Oberhagemann, D.: Statische und dynamische Personendichten bei Großveranstaltungen, vfdb Technischer Bericht, März 2012

(16) Lam, Yuen et al. 2014 - Experimental study on upward movement in a high-rise building, Safety Science 70:397–405

(17) Leitfaden Ingenieurmethoden des Brandschutzes, Technischer Bericht vfdb TB 04-01, 3. Auflage November 2013, Hrsg.: Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e. V. (vfdb), Technisch-Wissenschaftlicher Beirat (TWB), Referat 4, Prof. Dietmar Hosser

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