Staubewertung nach DIN 18009-2

Müssen viele Menschen ein Gebäude schnell verlassen, kann es zu Stausituationen kommen. Damit verlängert sich die Zeit, bis sich die Menschen in Sicherheit bringen können. Personenstromsimulationen sind in Hilfsmittel, um solche Situationen bereits in der Planungsphase durchspielen zu können. Aber was ist eigentlich ein Stau? Welche Kriterien bestimmen diesen? Und wie sind die Ergebnisse zu bewerten?

An Orten die von vielen Menschen zur selben Zeit genutzt werden, erhöht sich das Risiko von kritischen Situationen. Immer wieder kommt es dabei zu Katastrophen wie 1989 im Stadion von Hillsborough, bei der durch eine Fehlentscheidung des Sicherheitspersonals 96 Besucher starben, oder das Unglück der Loveparade.

Wie konnte das passieren? Die Dynamiken die entstehen, wenn viele Menschen zusammen kommen ist komplex. Besonders dann, wenn die Dichten in den Menschenmengen hoch werden und sich nicht mehr auflösen, wird es gefährlich. Ins solchen Situationen steigt die Verletzungsgefahr, da es zu Angst, Unruhe und Gedrängel kommen kann. Weiter können Druckwellen und Dominoeffekten entstehen, die in genannten Katastrophen enden können.

Zwei Faktoren spielen hierbei eine entschiedene Rolle: Die Geometrie vor Ort und das menschliche Verhalten. Gibt es Hindernisse wie beispielsweise Säulen in Hauptlaufwegen oder Flaschenhälse die Stauungen hervorrufen? Auch die sozialpsychologischen Aspekten wie der Risikopsychologie, die sich mit dem Verhalten von Menschen in Notfallsituationen beschäftigt, spielen eine Rolle.

Mithilfe von Personenstromsimulationen können die menschlichen Dynamiken im baulichen Layout bereits in der Planungsphase von Gebäuden und Veranstaltungen betrachtet und analysiert werden. Bevor dieses Werkzeug verwendet werden kann, muss definiert werden, was ein Stau ist und wie man ihn als solchen identifizieren und kategorisieren kann.

Was ist ein Stau?

In Anlehnung an verkehrswissenschaftliche Definitionen ist ein Stau von den folgenden Faktoren gekennzeichnet:

Kapazitätsüberlastung: Der Zufluss zum Gelände ist höher als der Abfluss.
Hohe Dichten: Die Dichten überschreiten einen Wert, bei dem man sich angenehm fortbewegen kann.
Geschwindigkeitsreduktion: Ich kann mich nicht mehr in meiner Wunschgeschwindigkeit bewegen
Zeitverlust: Infolge des Wartens oder Anstehens benötige ich für den zurückgelegten Weg länger, als es üblich wäre.

Das Entstehen eines Staus muss aber nicht zwangsläufig zu einer kritischen Situation führen. In Museen kann sich vor einzelnen Exponaten ein Stau bilden- dieser ist aber keineswegs kritisch. Auch auf Veranstaltungen können manche Staus sogar gewollt sein. Solange die Menschenansammlung von einer Person gemieden werden kann oder akzeptiert wird, gilt der Stau in der Regel als unkritisch.

Fraglich ist nun, wann ein akzeptierter Stau zu einem kritischen wird. Dazu werden die Einflussfaktoren in Kennzahlen übertragen.

Welche Kenngrößen gibt es?

Es gibt eine Reihe von Kriterien, die zur Stauerkennung herangezogen werden können. Sie können sich zum einen auf den Stau als Ganzes beziehen (makroskopisch) als auch auf die Individuen innerhalb eines Staus (mikroskopisch).  Ziel ist es, charakteristische Eigenschaften zu definieren, mithilfe deren Stauungen identifiziert und bewertet werden können. Bei der Auswahl der Kriterien  wird dabei auf folgende Merkmale geachtet:

Nachvollziehbar: Ein Kriterium muss nachvollziehbar und verständlich sein - nicht nur für Experten.
Eindeutig zu bestimmen: Wichtig ist, dass die Kriterien keinen großen Spielraum für Auslegungen und Mehrdeutigkeit bieten, um so vergleichbar zu bleiben.
Einfach auszuwerten: Die Kriterien sollen praktikabel sein, um im besten Fall keine aufwändige und fehleranfällige Mehrarbeit zu verursachen.

Kriterien, die den Stau charakterisieren:

Staudauer: beschreibt die Zeit, wie lange ein Stau besteht. Diese Größe per se besitzt eine geringe Aussagekraft, da sie abhängig von den Personen und der Situation ist: Ein Stau kann über mehrere Minuten anhalten, aber jede einzelne Person durchläuft den Stau in wenigen Sekunden.
Staugröße: bezeichnet die Zahl der Personen innerhalb eines Staus. Da sich die Personenanzahl im Stau über die zeit hinweg ändert, ist sie schwer zu greifen und sollte mindestens ins Verhältnis zur Zeit gesetzt werden.
Stauausdehnung: beschreibt die räumliche Ausdehnung eines Staus. Sie kann eine Aussage über die Signifikanz eines Staus geben, z.B. wenn der Stau einen weiteren Fluchtweg blockiert. Dieses Kriterium ist aber sehr situations- und modellabhängig (je nach Simulationsmodell werden einzelne Personen z.B. als Kreis, Ellipse oder mit quadratischen Zellen abgebildet, was zu einer unterschiedlichen räumlichen Ausdehnung führen kann). Zudem sollte es auch mit einem weiteren Kriterium wie der Dauer verbunden werden.
Stauzuwachs: beschreibt den Zuwachs eines Staus. Es ist eine abgeleitete Größe aus der Zahl Personen über die Zeit. Mithilfe des Stauzuwachses können Aussagen zur Kapazität(süberlastung) getroffen werden.
Fluss durch den Stau: beschreibt Personen pro Minute pro Meter abhängig von Geschwindigkeit und Zahl Personen. Es ist eine abgeleitete Größe und macht nur Sinn, wenn bekannt ist, wie hoch der optimale Fluss ist.

Kriterien, die auf Individuen basieren:

Geschwindigkeit: beschreibt die Geschwindigkeit jedes Individuums. Sie hat sich als sinnvoll zur Bestimmung von Stau erwiesen: Das Festlegen einer Grenzgeschwindigkeit kann die Personen identifizieren, die sich in einer Stausituation befinden.
Individuelle Anstehzeit: beschreibt, wie lange sich jede einzelne Person im Stau befindet. Dies kann die individuelle Anstehzeit pro Stau sein oder auch die gesamte Anstehzeit bei sukzessiven Staus und ist ein guter Wert bei der Bewertung von Stau.
Verzögerung: bezeichnet den Zeitverlust einer Person. Die Größe ist interessant, da hier eine Aussage dazu getroffen wird, um wieviel sich die Reisezeit aufgrund des Staus erhöht. In der Praxis ist dieser Wert aufwändig zu ermitteln, da für jedes Individuum die Reisezeit ohne Stauung berechnet werden muss, um eine Vergleichsbasis zu bekommen.

Weitere Kenngrößen:

Dichte: beschreibt die (minimale, mittlere, maximale) Personendichte innerhalb eines Staus. Ist aus Simulationssicht nicht sinnvoll, da in manchen Modellen Maximaldichten hinterlegt sind und somit die Ergebnisse nicht vergleichbar sind. Zudem müsste die Dichtemessung standardisiert werden.
Verhältnis Staudauer zu Gesamträumungszeit: beschreibt das Verhältnis zwischen maximaler Staudauer zur Gesamträumungszeit pro Person. Die Aussagekraft dieser Kenngröße hängt stark vom Szenario ab. Gibt es bspw. unterschiedlich weit entfernte sichere Bereiche, kann das die Analyse verzerren.

Bei der Auflistung der Kenngrößen wird deutlich, dass all die Größen nicht für sich stehen können, sondern der Fachplaner diese auf sein Szenario zugeschnitten betrachten sollte. Wie eine solche Analyse ablaufen kann, wird im nächsten Abschnitt anhand eines Beispiels verdeutlicht.

Vorgehen bei der Identifizierung & Bewertung von Stauungen

Zur Identifikation eines Staus sollte das Geschwindigkeitskriterium herangezogen werden. Es gibt allerdings einen Abstimmungbedarf, wie hoch der Grenzwert angesetzt werden soll. Ein möglicher Weg, diese Grenzgschwindigkeit zu ermitteln, ist es ein Fundamentaldiagramm heranzuziehen. Ein Fundamentaldiagramm beschreibt die Zusammenhänge zwischen (Personen-)Fluss, Geschwindigkeit und Dickte und hat seinen Ursprung in der Verkehrsanalyse. Je höher die Dichte in einer Menschenmenge, desto langsamer bewegen sich die Personen; ab einer bestimmten Dichte ist die Flussrate im Maximum; oberhalb der Dichte beginnt sich die Flussrate zu verringern und ein Stau entsteht. (mehr über das Fundamentaldigramm hier)

Die über das Geschwindigkeitskriterium definierten Stausituationen müssen in der Analyse auf ihre Kritikalität überprüft werden. Die Einschätzung ob ein Stau kritisch oder unkritisch ist, obliegt dem Simulationsgutachter. Zur Bewertung können beispielsweise folgende Kriterien herangezogen werden:

  • Dauer der Stausituation: Wie lange hält ein Stau an?
  • Ort der Stausituation: Wo befindet sich die Stausituation?
  • Individuelle Einzelstauzeiten: Wie lange befindet sich eine Person in einem Stau?
  • Staugröße: Anzahl der beteiligten Personen

Außerdem sollten Randbedingungen wie Anlass der Räumung, Motivation der Personen, Nutzungsart und weitere relevante Faktoren in die Bewertung einbezogen werden.

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